Schweißtreibende Bergetappen, halsbrecherische Abfahrten und Massensprints mit Herzschlagfinale, so kennen wir den Kampf ums rosa Trikot.
Dem stand der kulinarische Giro d’ Italia im Reitingergut um nichts nach. Während die hochsommerliche Sonne trotz abendlicher Stunde noch weit vom Horizont entfernt war und die kühlende Bergbriese sehnsuchtsvoll erwartet wurde, fanden sich bereits erste Tifosi am Reitingergut ein, genossen gekühlten Franciacorta, trockenen Lambrusco oder erfrischend fruchtigen Lugana samt
Dirndl-Oliven und labten sich am Anblick des ruhigen Attersees, der in der Abendsonne glitzerte.
Dabei musste man immer im Hinterkopf behalten, sich die Kräfte gut einzuteilen, denn eine kulinarische Reise um den ganzen Stiefel ist eine Tour de Force, in der besten und genussvollsten Bedeutung.
So gestaltete sich der Start in Livorno, mit einer Cecina, einer mit rohem Thunfisch, Würzöl und Zitronenzesten belegten Kichererbsentorte, noch recht zurückhaltend. Aber bereits hier zeigte die aufkommende Euphorie der Fans, die dieses restlos ausverkaufte Spektakel am Wegesrand miterlebten und ihre jeweiligen kulinarischen Favoriten anfeuerten, dass hier noch einiges zu erwarten war.
Doch vorerst rollte das Peloton, sich gegenseitig Windschatten verschaffend, an den Nordausläufern des Apennin entlang bis nach Venetien und stärkte sich dort an dem bereits berühmten Reitingergut Sauerteigbrot mit italienischer Butter und Baccalà mantecato (einer venezianischen Stockfisch-Creme).
Schon die kommende Etappe hatte es aber in sich: Der Adriaküste entlang ging es bis ganz in den Süden hinunter bis Apulien. Zarte frische Venusmuscheln öffneten sich hier einem Sud aus Weißwein und Zirone, der mit den hier typischen ringförmigen Crackern, den Taralli, gebunden wurde.
Manch ein Fan, der hier schon vom euphorischen Anfeuern heiser war, bereute dies spätestens bei der nächsten Etappe, die in drei Teilen absolviert wurde und ein kleiner Giro in sich war. Star dieses Abschnittes war ganz klar der Fisch. Zuerst führte dieses Mammutetappe noch weiter in den Mezzogiorno, nach Sizilien, wo sich unser gesamtführender Fisch in das Trikot eines Involtini di Car (Saibling) in Paradeiser-Karottenreduktion kleidete. Dann führte die Strecke zurück in den hohen Norden ins Piemont, wo der zum Thunfisch mutierte Führende sich umringt von seinen Domestiken aus zartem Kaninchenrücken, Kapern und Mayonnaise wiederfand (Coniglio Tonnato). Derart motiviert kreuzte die Gruppe der Führenden den Stiefel im Norden von West nach Ost und lief siegreich in Venedig zu Sarde in Saor (süßsauer eingelegten Sardinen) ein.
Schon nach diesem Abschnitt war klar, dass zum Sieg dieses Jahr kein Weg am Team “Frutti di Mare” vorbeiführen würde. Doch bereits die folgende Kurz-Etappe nach Bologna zeigte deutlich, dass dieses starke Team nicht nur auf den Gesamtführenden, den Fisch, zurückgreifen konnte. Denn diesmal zeigten die edelsten Meeresfrüchte, die echten Gamberi Rossi (rote Tiefseegarnelen) ihre Klasse. Einmal roh, nur mit Zitronensaft und Olivenöl mariniert und einmal in hauchdünnen Nudelteig gekleidet und in der eigenen Essenz gekocht (Gambero rosso crudo e Ravioli di Gamberi rossi in brodo), ließen sie den Beobachter am Wegesrand das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Jetzt war es Zeit für die Langstrecken-Spezialisten: Über alle Höhen des Appennin ging es zurück ins Land wo die Zitronen blühen, nach Sizilien. Auf dieser herausfordernden Strecke zeigte sich, was gesunde Ernährung ausmacht und so konnte sich das Team “Verdure” mit der Aubergine an der Spitze durchsetzen. Eine deftige Parmigiana (Melanzani-Auflauf) nach Art des Reitingerguts mit fermentierter Ringlotten-Sauce und Stracchino-Creme hatte die Dominanz des Meeres gebrochen.
Entsprechend neugierig war man auf den Ausgang der kommenden Etappe, die wieder zurück, über alle bereits gemeisterten Herausforderungen, nach Jesolo, dem Mallorca der Österreicher führte. Das Erstaunen war groß, als sich ein teamlose Einzelfahrer aus himmlisch cremigen Kokos-Basilikum-Sorbet mit 25 Jahre altem Aceto Balsamico unter den frenetischen “Cocobello”-Rufen seiner Fans im Endspurt den Sieg holte.
Nun folgten die beiden Königsetappen. Einmal noch ging es in den heißen und fischreichen Süden, wo man anhand der Gewürze und Geschmackskombinationen, wie süß-sauer, die Nähe zum afrikanischen Kontinent spürt. Erwartungsgemäß ließ hier das Team “Frutti di Mare” nichts anbrennen und führte das Feld mit einem leichten Tartar vom Schwertfisch an kandierten Oliven, Kapern, Fenchel und Orange souverän den Stiefel entlang.
Dort übergab man teamintern an den Teamleader, der mit einem Ossobuco vom Schwertfisch auf Nero-di-Sepia-Gnocchi die Tour in beeindruckender Triumphfahrt zurück in den Norden und ins glitzernde Wirtschaftszentrum des Landes, Mailand, brachte.
Der Gesamtsieg war dem Team “Frutti di Mare” somit nicht mehr zu nehmen. Aber im finalen Sprint nach Venedig hatten die Pedalritter dieses Teams nichts mehr mitzureden. Dieser ging ganz klar an das Team “Dolci”, die mit einer “Meringata al Limone”, einer leichten Zitronentarte mit zart geflämmter Schneehaube, sich nicht nur den finalen Einzug am Markusplatz sicherten, sondern auch eine Hommage an Arrigo Cipriani und sein Harry’s Bar ablieferten.
Nach solch aufregenden Etappen, waren Teilnehmer und Gäste gleichermaßen geschafft und sanken ermattet auf ihre Lager, wo sie bereits von den Sensationen und Genüssen des kommenden Giro d’Italia träumten.
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